Wie Vidhvansaka die Mahidra vertrieb

Eine göttliche Parabel aus dem Tempel zu Kurapan

Es war einmal vor langer Zeit in den Tiefen der Wälder ein Platz, wo sich Saltarajah zur Ruhe bettete, wenn Otarma sich im Wald die Zeit mit der Jagd vertrieb. Und immer wenn sie ruhte, schlief sie auf dem Körper ihres geliebten Schßstieres, der Mahidra, denn die Mahidra schlängelte sich unter Saltarajah angenehm und verschaffte ihr so ein Wohlbehagen, welches den Göttern nicht nur zukommt, sondern ihnen auch zu Gefallen ist.

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Wie sie so lag und sich mit den Dingen der Welt in Gedanken trug, da erreichte die beiden Otarmas Stimme, der da rief:
Saltarajah, pflege nicht so viel Müßiggang sondern hilf mir, den Wald von den schrecklichen Kreaturen zu befreien, welche wir erschaffen haben, es sind ihrer zu viele geworden!
Saltarajah indes antwortete nicht sondern dachte nur, dass es eine Zeit des Handelns und des Abwartens gäbe und wie so oft es nur eine Frage der Zeit sei, bis Otarmas Eifer sich anderen Dingen zuwenden würde. Doch Otarma fand Gefallen an dem Gedanken, dass Saltarajah etwas tun solle und schlug nun vor, dass ihm jemand anderes helfen möge, wenn schon Saltarajah selbst nicht eingreifen wolle. Da sah Salatarajah ein, dass etwas Richtiges daran sei und auch sie selbst einen Teil leisten möge und so sprach sie zur Mahidra:

Mein liebes Schoßtier, meine treue Dienerin! Geh, und hilf Otarma und beruhige die wilden Kreaturen des Waldes. Niemand anderes ist so gut geeignet wie Du, den Frieden über dieses Land zu bringen, welches Otarma und ich geschaffen haben, denn Dir hören die Kinder des Waldes zu. In deinem Blick erkennen sie die Mäßigung und die Erholung so als wenn es der meine wäre. Ich werde derweil auf dem Gras ruhen und in Gedanken bei Dir sein.
Da wandt sich die Mahidra zunächst ein wenig, doch ihrer Herrin zuliebe kam sie dem göttlichen Wunsche nach. Sie schlängelte sich in den Wald und traf dort die wilden Kreaturen, welche bei ihrem Angesichte um sie herum tanzten und voller Bewunderung für die Mahidra vor ihr niederknieten. Da lachte Otarma laut als er dies sah, denn ihm wurde klar, dass er nun viel mehr Zeit für Saltarajah hatte, wo doch die Mahidra so wundervoll half. Er ging zu Saltarajah und blieb lange dort. Die Mahidra vergaß schon bald, wie lang sie sich um die wilden Kreaturen gekümmert hatte, denn die Katzen, Bären, Wölfe und anderen Jäger taten alles unter ihrem Blick und das schmeichelte der Mahidra. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie eine eigene Aufgabe, die nur ihr gehörte und sie war sehr zufrieden. Lange Zeit verging und alles war gut. Doch eines Tages kam einer vorbei in diesem Wald, den man Vidhvansaka nannte. Die Mahidra kannte ihn, denn er schlich auch schon des öfteren um Saltarajahs Ruhestatt herum und blickte düster herueber. Doch heute war sein Blick freundlich und er lachte leise in sich hinein, als er die Mahidra und ihren Hofstaat sah.

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„So“, sprach er, „man hat Dir also eine Aufgabe übertragen, Mahidra!“ Und sie antwortete freudig mit einem „Ja, ich darf mich um die wilden Wesen des Waldes kümmern.“ Da meinte Vidhvansaka: „Das ist aber ganz schoen hinterhältig von den Göttern gewesen, Dir dies zu übertragen. Statt sich selbst um die wilden Wesen zu kümmern, schicken sie Dich. Hast Du dir denn noch nie die Frage gestellt, was die Götter damit bezwecken?“ Da dachte die Mahidra lange nach, doch sie kannte keine Antwort, denn das Wesen der Götter ist schwer begreiflich. Listig fügte Vidhvansaka hinzu: „Vielleicht ist Dir schon aufgefallen, dass Du schon lange nicht mehr Deine Herrin gesehen hast und Saltarajah lieber an Otarmas Seite weilt, als sich auf Dir auszuruhen und Dir durch die Schuppen zu gehen.“

Da erkannte die Mahidra, dass dies stimmte und Vidhvansaka die Wahrheit sprach. Und so hörte sie ihm weiter zu als dieser fortfuhr: „ Früher, da warst Du Saltarajahs beste Freundin, doch heute bist Du allein im Wald und musst Dich ständig um Otarmas Angelegenheiten kümmern. Ist das nicht ungerecht? Sie haben Dich weggeschickt und wollen Dich nicht mehr bei sich haben, während sie sich vergnügen!“ Da wurde die Mahidra zornig und spuckte Gift zum ersten Mal in ihrem Leben. Und die wilden Wesen waren erstaunt, denn dies hatten sie noch nie gesehen und sie fürchteten sich und wurden unruhig. Da sprach Vidhvansaka weiter: „Sieh, was Du ausrichten kannst, wenn Du Dich auf Dich selbst verlässt und nicht immer nur tust, was die Götter verlangen. Wusstest Du nicht, dass Du dies kannst? Und Du kannst noch viel mehr, wenn Du Dich traust! Aber die Götter haben es Dir nicht verraten, denn sie wollen nicht, dass Du so mächtig bist wie sie selbst. Ihnen ist lieber, dass Du dumm und folgsam bleibst und hier diese freien Wesen knechtest.“ Da blickte die Mahidra auf ihre wilden Kinder und sie sah, dass sie gar nicht so wild und natürlich waren wie früher. Sie sah, dass viele von ihnen Hunger hatten und Gras kauten statt zu jagen. Sie sah, dass viele in ihrer Bewunderung vergessen hatten, das Fell zu putzen, die Klauen zu wetzen und ihre Fänge in rohes Fleisch zu schlagen. Und sie wurde noch zorniger und rief: „Oh welche Schuld habe ich auf mich geladen! Ich habe diesen Wesen hier meinen Willen aufgezwungen und muss erkennen, dass ich ihnen nur geschadet habe. Wie konnten die Götter dies nur zulassen.“ „Sie wollten es so“, sprach da Vidhvansaka, „denn sie haben auch Dir ihren Willen aufgezwungen. Aber Du hättest es verhindern müssen, denn Du hast einen starken Willen und kannst viel erreichen. Wie willst Du nun weiterleben, hier an diesem Ort, mit dieser Schuld?“

Da wurde die Mahidra sehr traurig und sie zischte: „ Ich muss fort von hier, denn alles was ich sehe, erinnert mich an meine schlimme Tat. Ich werde meinen Kindern die Freiheit geben, sollen sie sein, wie sie wollen. Ich aber bleibe unauffindbar und warte auf einen besseren Tag. Die Goetter aber verfluche ich, denn ohne sie hätte ich all dies nicht erdulden müssen.“ Da lächelte Vidhvansaka still und verließ die Mahidra. Er ging zu den Goettern und traf sie am Ruheplatz, wo sie scheinbar noch immer saßen wie seit einer Ewigkeit. Da verspottete er sie und sagte: „Ihr törichten Goetter, seht, was ich getan habe!. Die Mahidra ist fort, weil Ihr nur an Euch selbst denkt und Euch nicht um Eure Schöpfung kuemmert. Was seid ihr nur für Wesen, dass ihr Eure Kinder wegschickt und sie allein lasst? Ihr müsstet doch wissen, dass Einsamkeit und Unaufmerksamkeit die schlimmsten Gefühle erzeugen und man jedem vertraut, der nur ein bisschen Verstand hat. Und da stehe ich vor Euch und bezeuge Eure Machtlosigkeit“. Da antwortete Saltarajah voller Ruhe: „Beantworte mir nur eine Frage, Vidhvansaka und ich werde Dir all unsere Kraft geben und Du darfst an meiner und Otarmas Statt als Gott leben. Womit beschäftigst Du Dich, wenn es unsere Schöpfung nicht gaebe?“ Da wurde Vidhvansaka sehr still und dachte nach.

Da lächelte Saltarajah milde und sie sagte: „Nun gut, dann will ich Dir eine zweite Chance geben. Beantworte mir diese Frage hier und Du sollst Gott sein so wie wir. Wer hat Dich geschaffen?“ Abermals wurde Vidhvansaka sehr still und noch nachdenklicher. Doch schliesslich wand er wütend ein: „ Du weisst doch selbst die Antwort nicht! Was stellst Du für Fragen, die man nicht beantworten kann?“ Da wachte Otarma aus seinem leichten Schlummer auf und sprach donnernd: „Du neidischer Lump, ich kann Dir auch anders unsere Lehre beibringen! Pack Dich und lass Dich nicht mehr blicken. Saltarajah hat Dir all ihre Aufmerksamkeit geschenkt und noch viel mehr, was Du aber nicht verstehst. Wir wissen, dass Du nichts selbst erschaffen kannst und Dich deshalb so sehr um unser Werk bemühst. Wenn wir immer alles selber täten, wozu bräuchten wir dann eine Schöpfung? Denk mal darüber nach und jetzt troll Dich und schau, dass Du das tust, was deine Aufgabe ist. Ansonsten werde ich Dir mit meinem Glanz ein paar neue helle Stellen in das finstere Gesicht brennen.“

Da floh Vidhvansaka vom Platz der Götter und man hat ihn nie wieder dort gesehen. Doch die Mahidra blieb ebenfalls verschwunden. Nur die wilden Wesen sind immer noch in den Wäldern und träumen von der Mahidra und der Ruhe in ihrem Blick.